Im Pfarrgarten werden immer wieder die leckersten Äpfel von den Kindern aus der Nachbarschaft geklaut. Schließlich hängt der Pfarrer ein Schild in den Baum, mit der Aufschrift „Gott sieht alles!“ Am nächsten Tag steht ein Kommentar auf dem Schild: „Aber er petzt nicht!“.
Mit diesem Witz brachte Margot Kässmann in ihrer Predigt bei der ökumenischen Andacht am 22. Februar 2016 im Evangelischen Gemeindehaus auf den Punkt, was die zentrale Einsicht der Reformation war.
Deren 500jähriges Jubiläum wird im Jahr 2017 gefeiert – datiert nach dem Jahr, in dem Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel in der mittelalterlichen Kirche veröffentlichte. Er stieß damit eine Entwicklung an, die schließlich zur Bildung verschiedener „protestantischer“ Kirchen neben der Katholischen Kirche führte.
Diese reformatorische Entwicklung machte ein für die Menschen Europas bis dahin unbekanntes Grundgefühl innerer Freiheit möglich. Das machte Frau Kässmann dann in ihrem englischsprachigen Vortrag am 23. Februar in der Chulalongkorn‐Universität deutlich: wenn jedermann die Botschaft der Bibel selber lesen konnte (was durch die Übersetzung der Bibel in die Landessprachen und den gerade erfundenen Buchdruck möglich wurde), dann relativierte das nicht nur die geistliche und weltanschauliche Dominanz des kirchlichen Lehramtes, sondern legte auch die Grundlagen demokratischer Staatsverfassungen.
Welche – zum Teil auch gewaltsamen – Auswirkungen diese reformatorischen Umbrüche auf die Länder Europas hatten, machten die Vertreter/in der Botschaften der Tschechischen Republik, der Schweiz sowie Österreich und Deutschland in ihren Wortbeiträgen deutlich.
Und was sind die Herausforderungen, denen sich evangelische Kirchen in der Gegenwart stellen? Diese Frage zog sich schließlich durch die verschiedenen Wortmeldungen bei einer Diskussion im Begegnungszentrum Pattaya, zu dem sich mehr als 140 Besucher versammelt hatten. Im Blick auf den gegenwärtigen Zustrom von Flüchtlingen in Europa betonte Margot Kässmann, dass nach dem Zeugnis der Bibel Flüchtlinge ein Recht auf Aufnahme und Schutz haben. Sie wies darauf hin, dass Deutschland ein reiches Land ist und dass sich gerade Kirchengemeinden dort für die Unterstützung und Integration von Flüchtlingen engagieren.
Der Besuch von Professorin Dr. Margot Kässmann in Thailand war Teil einer Vortragsreise durch Ostasien, die sie zuvor nach Indien und Bangladesh, und anschließend weiter nach Jakarta, Singapur und Hongkong führte. Die frühere Bischöfin der Hannoverschen Landeskirche und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist seit 2012 „Botschafterin“ des 500jährigen Jubiläums der Reformation im Jahr 2017. (Fotos: Ulrich Holste Helmer und Annegret Helmer)